Zonic Radio Show Nord, 05.08.2010 - Liquors And Telescopes

Zonic Radio Show Nord, 05.08.2010 – Liquors And Telescopes

Im Umzug, im Wegzug, im Verzug:
Fertigstudierte, Wolkenbrüche & die Post im Briefkasten.

Es sperrmüllt da draußen im Power-Schauer. Ein regelrechter Regal-, Staubsauger-, Stuhl- und Lampenladen auf den Gehwegen.
Die einen möbilieren sich in den alten Vierwandsresidenzen neu, die anderen ziehen fort in andere Städte und werden Konzernleiter, Amtsärzte und Bachelor-of-Arts-Arbeitslose.
In der Sternwarte kartiert einer am Firmament herum. Eins von den Dingern soll mal den Namen meines ungeborenen Kindes kriegen, denkt er und nippt an seinem Likör, klebrig wie alte Bonbons. Unzählige seiner Blicke hat der einsame alte Sternenwart mit gekniffenen Augen ins All gefeuert. Behutsam, Grad für Grad, und doch mit der Leidenschaft eines verkannten Entdeckers. Ein im Irdischen Verirrter. Sein altes Grobcordjackett hängt überm Stuhl wie ein treuer alter Hund. Beulig wie ein dumpfer, halber Gedanke, findet er, während er die Zigaretten aus dem Innenfutter holt.

Zonic Radio Show Nord - Eine Sendung zum Thema "Liquors and Telescopes"

Zonic Radio Show Nord – Eine Sendung zum Thema „Liquors and Telescopes“

Die Zukunft in der Fantastic Plastic Machine

Man müsste sich selbst mal so richtig einnorden, denkt er sich, oder Kosmonaut werden, noch besser, Juri und er die hättens gerissen, in seiner Fantastic Plastic Machine. Die Baupläne sind fast fertig, er muss sie nur noch niederschreiben. Altes Millimeterpapier und einen abgeknispelten Winkelmesser hat er sich schon hingelegt. Wenn ihm fad wird vom Firmamentgeschaue brüht er sich Kaffee und gießt die gespensterhafte Blume im Fenster. Kein Mensch kennt was die da im Taschenradionachtprogramm spielen. Bezuschusst wie die müsste man sein. Fördertöpfe für den eigenen Spleen und die eigene Miete. Es ist ja nicht so, dass meine Miete astronomisch dimensioniert ist, denkt er sich, nur um das Wort mal untergebracht zu haben, einen Anfall von Schmunzeln nicht unterdrückend. Mal Schauen was Die Zukunft so bringt. Morgen vielleicht mal Spazieren, spät aufstehen und sich die Stadt ansehen, mit neuen Augen, ganz ohne Teleskop.

Die Zukunft: Knarf Rellöm, Bernadette La Hengst und GUZ

Die Zukunft: Knarf Rellöm, Bernadette La Hengst und GUZ

Die Zukunft bringt zusammen was zusammen gehört. Die Band, die für jedes Wortspiel zu haben ist, vereint – auf nettes aber nicht unbeharrliches Anraten und Drängeln seitens Ritchie Records – die drei Pop-Haudeginnen und -degen Knarf Rellöm, Bernadette La Hengst und GUZ zur längst fälligen Albumskollaboration.
Die Zukunft bringt Kavalierstart-Beat mit Chuzpe, Esprit und Schlagsahnetopping.In individuell-einzelner Form als Solo-Musizierende als auch in ihren eigenen Bands (Huah!, Die Braut Haut Ins Auge, Die Aeronauten et al) jeweils marvelmäßige Superheroes – jetzt als talentefusionierende Power-Rangers-Allstar-Supergroup mit hottentotten-flottem Album.

Sein Name: „Sisters & Brothers“ – groooovy sagen wir lässigen Rumgammler und Bierdeckelsammler dazu.

Die Zukunft ist eine Supergroup zum Anfassen mit Strickkrawattencharme und Arbeitsamterfahrung.

Der Electro-Beat-Chanson von Bernadette schwooft mit knarffunkelnden Soulverspulungen und geht Eierlikör im Bahnhofsimbiss trinken mit Boogiekeule GUZ. Gescheit, gelassen und mächtig gewaltig. Punk, dubby, soul-beseelt und tanzflur-affin.

Damals war Die Zukunft noch Zukunft

„Der beste Moment in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen“ nannte sich mal ein Album von Bernadette La Hengst. Damals war Die Zukunft noch Zukunft – jetzt ist die Zukunft jetzt! Die Band für die Mopedfahrt durchs Rapsland. Nach der Volkshochschule paar Bier einstecken und am Stadtrandfluss ’nen Eimer Fische angeln – das ist der real shit. Die Zukunft, alter, ausmalen, Junge, wie Tablettservietten in Autobahnraststätten. Wie auch in ihren anderen Bands singen die Drei hier auch von deinem Leben. „Der Künstler, der früher viel Scheiss baute, heute aber viel erwachsener ist, und sich damit viel besser fühlt“ hat heute sein Zelt im „Mittelstandsproblemcamp“, so der Name des zitierten Albumopeners. Das darauf folgende Stück ist eine augenzwinkerndernde Abhandlung über die Möglichkeit und den Drang zur Außenseiter-Hit-Landung. Natürlich ist das hier kein Super-Illu-Redakteurs-Augenzwinkern, sondern vielmehr gesunde Selbst- und Kommunikationsreflektion über jeweils gut 20 Jahre im Musikbusiness – an ZickZack werden immer noch Briefe geschrieben, bei BMG muss man sich telefonisch einreihen, mit den wilden Rave-Hoppelhasen von Audiolith wird natürlich geskypt und beim Country-meets-Hardrock-Label Kochrecords kommuniziert man über Rauchzeichen.

Die, im Rahmen ihrer am Theater Freiburg einstudierten Bettleroper entstandene Prekariatsreflektion „Angst als Antrieb“ erfährt durch Die Zukunft hier eine Re-Interpretation und packt ernste Themen im catchy Kleid an die störrischen Hörner. Im Sinne des Albumtitels funktioniert das gerne auch in der Gemeinschaft. Im Sinne einer kollektiven „Sisters & Brothers“-Bekenntnis wird als Rauswühlweg aus dem ewigen Rumkrebsen und Kontoüberziehen natürlich nicht die Kapitulation als absolute gewählt, sondern der Hedonismus taucht auch hier mal wieder als angenehme Auslösung auf. Bezeichnend dafür sind die zwei Lebemensch-Hymnen auf dem Album: „Drogen nehmen und rumfahren“ ist ein klassisches Rumtreiberlied, wie es lange keins mehr gab und„Zukunft als Party“ ist lässiger Discosoul mit runtergepitchten Vocals und Handclaps, der die schöne neue Arbeitswelt ungefähr so definiert:

„Die Zukunft der Arbeit sieht nach mehr Freizeit aus.
Wir suchen in Wahrheit Zeit um auf Parties rumzustehen“
(Die Zukunft – Zukunft als Party, 2010)

Eine andere, ähnlich allumfassend betitelte Supergroup waren Mitte der Neunziger Die Stars. Mit Mitgliedern der Goldenen Zitronen, den Sternen, Huah! etc. pp. fröhnte man dort dem vergessen geglaubten Easy-Listening-Jazz.

Taylor Deupree wuchtet und buchtet Drones auf „Shoals“

Ausgehend davon – vom easy Listening – wirft sich diese Zonic Radio Show Nord in die samtenen Offshore-Klangsuppen von Taylor Deupree.
Jener hat sein neues Album „Shoals“ im Rahmen des Forschungsprojektes New Aesthetics in Computer Music an der Universität zu York in Großbritannien aufgenommen. Im dortigen, audiotechnisch oppulent ausgestatteten Music Research Centre, dessen Fokus auf experimenteller, elektronischer Musik mit independent and oppositional practices and aesthetics liegt, bediente er sich – recht unoppulent – des vorliegenden Fundus an balinesischen und javanesischen Gamelan-Instrumenten.

Taylor Deupree - "Shoals" (Cover)

Taylor Deupree – „Shoals“ (Cover)

Statt diese in traditioneller Weise zu spielen, zweckentfremdete er sie und nutzte sie hauptsächlich als perkussive Tongeber.
Das gesammelte Klangmaterial formierte er im eigenen Studio dann zu vier ausschweifenden Ambient-Gebilden, die angenehm zwischen dreamy Field-Recordings, hölzernem Geplucker und lichthellen Drones changieren.

Im etwas engeren Sinne dronig, also mehr dicht gelayert als ausgeleiert, klingt das neue Album von Cristal aus Richmond. Homegoing beginnt mit borkigen Cello-Schleifen, die sich nach und nach zu ausufernden Tonströmungen verwässern, ohne dabei an Frequenzbreitenwirkung zu verlieren. „Mirrors“ klingt dabei, wie man sich glitzernden Weltraumschrott in Tönen vorstellt und hätte damit auch im Soundtrack von Danny Boyles Solaris-meets-Event-Horizon-Meditation Sunshine seinen Platz finden können. Cocoon ist mit seiner alphebetisch sortierten Longplayer-Kompilations-Reihe bei J angekommen. Hier wird sich in tieffurchigen Dubtech-Mariannengräben ausgetobt. Spielplatzbewohner hier u.a.: Pantha Du Prince, Moritz Von Oswald, Ricardo Villalobos und Extrawelt.

Mit Hau ins Acid-Häusliche…

Richard Von Der Schulenburg macht, seitdem er bei den Sternen nicht mehr orgelt, jetzt auch straighte Tanzmusik. Und zwar herzallerliebsten Backenbart-Techno mit Hau ins Acid-Häusliche. Im Frühjahr boxte er unter dem Initialenpseudonym RVDS auf Bernd Siebels/Schulenburgs „It’s“-Label seine dort zweite EP „Waiting, Kiss & Love“ in die Welt und zeigt, wie man in die House-Disco doch noch sowas wie Humor und Experimentierfreude schmuggeln kann.
Das alles und noch Stück was mehr in dieser Ausgabe.

Zonic Radio Show Nord
Liquors & Telescopes
Do. 05. August 2010, 20 Uhr radio 98eins (livestream)

Playliste

Die Zukunft – Ich Kann Den Hit Hören
Sisters & Brothers
Trikont / Ritchie Records

Die Zukunft – Zukunft Als Party
Sisters & Brothers
Trikont / Ritchie Records

Bernadette La Hengst – Wilder Mann
Der Beste Augenblick In Deinem Leben Ist Gerade Eben Jetzt Gewesen
Trikont

Huah! – Der Krieg-Song
V. A. – Billiger Als Turnschuhe
L’Age D’or

Die Stars – Gay Lovers
Are The Stars
Buback

Taylor Deupree – Shoals
Shoals
12k

Zurich – Too Scared To Breath
Zurich 12″
Important Records

Cristal – Mirrors
Homegoing
FSS

Rüdiger Carl – Kaskade
Book / Virtual Cowws
FMP

John Murphy & Underworld – The Last Message
Sunshine – Music From The Motion Picture
Fox Music

Ferryboat Bill – TV Lullaby
Liquors & Telescopes
Big Store Records

Soap & Skin – Marche Funèbre (DJ Koze Marxa)
Marche Funèbre EP
Couch Records

Rüdiger Carl – Solo Mü I (for J.H.)
Book / Virtual Cowws
FMP

Oneohtrix Point Never – Nil Admirari
Returnal
Editions Mego

Simon & Garfunkel – At The Zoo
Bookends
Columbia

Wolfgang Voigt – Tal 90 (Version)
Gas
Raster Noton

Carl Orff, Conducting An Instrumental Ensemble And The Tölz Boys Choir – Street Song “Gassenhauer
”Street Song “Gassenhauer”
Quintessence

Misora Hibari – Love
Fantastic Plastic Machine – Sound Concierge Numéro Tokyo – „Utopia“ – presented by Fantastic Plastic Machine
Cutting Edge / Avex Trax

RVDS – Kiss
Waiting, Kiss & Love EP
It’s

Mathias Kaden – Rave Strikes Back
Cocoon Compilation J
Cocoon

Spydaboy – People Of Ibiza
V. A. – Camp Imperial
L’Age D’Or

The Templeton Twins – Can’t Take My Eyes Of You
Fantastic Plastic Machine – Sound Concierge Numéro Tokyo – „Utopia“ – presented by Fantastic Plastic Machine
Cutting Edge / Avex Trax

Max Müller – Nach Regen
Endlich Tot
What’s So Funny About

Ricardo Villalobos – Humusweg
Cocoon Compilation J
Cocoon

Schorsch Kamerun – I Found My Gold
Warum Ändern Schlief
L’Age D’Or

Heinz Strunk – Jürgen Dose Erzählt: Feierabend
Der Schlagoberst Kommt
Intercord