Max Müller - "Max Müller" (Die Eigene Gesellschaft, 1995)

Zonic Radio Show Nord, 23.09.2010 – Mutter im Inter-Stella Overdrive

Mutter spielt musikalisch nicht selten Hauptrollen, wie folgende Zitate belegen:

„Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter im Schrank“ (Helge Schneider)

„Mutter Mutter, warum hast du mich gebor’n / oder hat mich der Esel im Galopp verloren?“ (Die Sterne – Jenseits von Eden)

„I say mothers ain’t too cool like mother sky.“ (Can – Mother Sky)

„Maaaamaa“ (Heintje)

Jetzt hat die Musikgruppe Mutter ein neues Album veröffentlicht.
Es trägt den Titel „Trinken Singen Schießen“.

Mutter spielt Trinken Singen Schießen

Mutter ist ungefähr ein viertel Jahrhundert alt. In einer pop-musikalischen Zeitrechnung ist das schonmal eine ordentliche Hausnummer. Mutter ist quasi bald schon Greisin, auf ’ne Art. Es handelt sich um eine rüstige, laute, melancholische aber nicht zynisch gealterte Hebamme großer Gefühle voll wuchtigem Bodenstand. Ihre Musik ist nicht selten schleppend, manchmal doomig – man könnte harten Rock vermuten. Jedoch: ein Rock, der oft in Zeitlupe und jenseits harter Rocksäuerockismen auftritt. Max Müller und Florian Koerner von Gustorf gründeten Mutter 1987, nach Auflösung ihrer Gruppe Campingsex.

Es umweht die Herren in der Truppe ein herziger Wind von Ehrlichkeit und Freundlichkeit – Wesenszüge, die in Zeiten der ewigen Brechung und Brennglasumdeutungen von so ziemlich Allem, im ersten Moment, derart manifest vorgetragen, irritierend wirken können. Das Rockende im Sinne des alten, rockhistorisch gekeimten „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“-Gedanken gibt sich hier mit einer regelrecht mütterlichen Güte die Klinke in die Hand.

Wir waren niemals hier

Sehr anschaulich portraitiert wird die Band im 2005 erschienenen  Dokumentarfilm „Wir waren niemals hier“ von Antonia Ganz. Hinz und Kunz von Diedrich Diederichsen bis Rocko Schamoni werfen dort mit Lorbeeren um sich und versuchen das Mutter-Phänomen in Worte zu fassen.

Rocko Schamoni beschreibt Mutter als eher so eine Geheimproduktionsstätte, die sich nicht um normale Wege schere und denen es eigentlich egal sei, wie man das so machen muss.

Mutter in der Besetzung 2010: Harry F. Coltello, Tom Scheutzlich, Michael Fröhlich, Florian Koerner von Gustorf, Max Müller

Mutter in der Besetzung 2010: Harry F. Coltello, Tom Scheutzlich, Michael Fröhlich, Florian Koerner von Gustorf, Max Müller

Seit 25 Jahren lärmen, poltern und swingen Mutter behende jenseits eines üblichen Independent-Marktes – und letztlich auch ohne größere finanzielle Erfolge.

Macht aber nichts, es herrschen nämlich nebenher noch alternative Einkommensmöglichkeiten, mehr oder weniger. Florian Koerner von Gustorf ist Filmproduzent und Kerl Fieser, bei einem der ersten Mutter-Konzerte sozusagen aus dem Publikum als Bassist in die Band gecastet, hat nicht nur einen klassisch-schönen Punknamen, sondern auch ein handwerkliches Backup in Form einer Ausbildung als Nachrichtengerätemechaniker in seiner Vita. Max Müller veröffentlicht seine Bilder und Radierungen immer mal wieder in Magazinen und gibt Solo-Alben mit erquickenden und verschnarrten kleinen Liedperlen heraus. Seinem im Hybridenverlag erschienenen „Ich bin kein Spielzeug“-Kleinstauflagen-Künstlerbuch hat er eine 45minütige One-Track-CD mit einer Lärmcollage beigestellt.

Nun hat das musikalische Mutterschiff, nach 6 Jahren ein neues Album veröffentlicht. Finanziert durch Schuldverschreibungen in Form von 99 Kaltnadelradierungen Max Müllers zu je 100 Euro.

Die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie einmal war

Die 12 Stücke auf „Trinken Singen Schießen“ bieten sich zuweilen regelrecht anschmiegsam dar. Gut produziert und ohne ausschweifendere Lärm-Eskapaden könnte es sich fast um ein Airplay-taugliches Album handeln.

Einen Ausflug in diese, nämlich eine breitenwirksamere Richtung wagten Mutter schon 1994 mit ihrem epochalen Neo-Chanson-Album „Hauptsache Musik“. Allen Westernhagens und Wagershausens wurde da gezeigt, wie das geht: ergreifende, freundliche und dabei unpeinliche deutschsprachige Lieder, die ihre Inhalte nicht in Diskursformeln oder Eierschaukelei chiffrieren, sondern beispielweise ganz klar festhalten: „Die Erde wird der schönste Platz im All“.

Max Müller - "Max Müller" (Die Eigene Gesellschaft, 1995)

Max Müller – „Max Müller“ (Die Eigene Gesellschaft, 1995)

Auch in Max Müllers Solo-Sachen findet sich dieser unaufdringliche Grundoptimismus. Wie auch bei Mutter wechselt er sich dort ab mit düsterem Gequengel und spleenigem Low-Budget-Splatter-Gerumpel. Im Jahr 2008 erschien sein letztes Album „Die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie einmal war“.

Im Oktober und Dezember diesen Jahres geben Mutter einige Konzerte. Live entfaltet sich ihr stoischer Slowcore-Rock, der sich wuchtig in Herzen und Bäuche walzert, erst in vollem Maße. Meint: Hingeh-Empfehlung.

Jochen Distelmeyer bringt die Sache mit Mutter wie folgt auf den Punkt:

„Später werden Leute sagen: hier, das hat gar kein Schwein wahr genommen. Das ist aber das Geilste gewesen. Seid ihr denn alle bescheuert?“.

Recht hat er.

Inter-Stella Overdrive

Stella gibt es seit nunmehr 15 Jahren.  Über das Label „What’s So Funny About“ kriegt man die sogar mit Mutter in einen Topf – veröffentlichte Stella-Mitglied Thies Mynther z.B. doch damals neben Mutter als Die allwissende Billardkugel auf  dem Sampler „Eine Eigene Gesellschaft Mit Eigener Moral“.

Das neue Album von Stella heisst „Fukui“ und ist das entschlackteste, nahezu formalistischste Werk der – mit Elena Lange, Mense Reents und Thies Mynther –  zum Trio geschrumpften Formation.

Hendrick Weber ist im Jahr 2010 nur noch an einem Stück beteiligt und kümmert sich seit diversen Jahren schon unter dem Alias Pantha Du Prince um seine Pole-Position in den Tee-House-Stuben der Dackelblick-Techno-Romanciers.

From Disco to House with a click of the mouse

Ende der 90er agierten Stella noch in Quartett-Besetzung als Fahrtwind-Ankurbler einer neckischen Electro-Schwemme mit Schläue und Traute im Umfeld von L’Age D’Or und Ladomat 2000. From Disco to House with a click of the mouse wuselten sich da Projekte wie Egoexpress, Sand 11 und Whirlpool Productions. Stella sorgten in diesem Rahmen für für die Dosis Indie-Pop mit Schielauge auf R’n’B – siehe Hit-Single und Album: „Finger On The Trigger For The Years To Come“.

Elena Lange, Mense Reents & Thies Mynther sind Stella

Elena Lange, Mense Reents & Thies Mynther sind Stella

2010 klingen Stella weitaus reduzierter und generieren trockenen Klavier-Kraut-House, dessen durchweg japanische Vocals mehr als klangliches Element und weniger als Inhaltskutsche funktionieren. Zurückbesinnung auf das Piano ist derzeit offenbar ohnehin En Vogue. Jens Friebe tut’s auf seinem neuen Album „Abändern“ (Name wurzelt in einem Verhörer bei „Up & Down“ der Vengaboys…putzelich!), Phantom Ghost taten es im letzten Jahr in berückender Vaudeville-Manier auf „Thrown Out Of Drama School“ und Wolfgang Voigt nennt sein aktuelles Album „Freiland Klaviermusik“ – Musik wie tausend besoffene Katzen auf den Tasten tatzend.

Nebenher wuseln die Stella-Leute munter durchs Popgeschäft und remixen hier, kollaborieren dort und produzieren wieder da.

Johannes Scheerer, Sebastian Nagel, Jessica Drosten: Taka-Takaz

Johannes Scheerer, Sebastian Nagel, Jessica Drosten: Taka-Takaz

Thies Mynther tat dies jüngst zusammen mit Taka Takaz.

Dabei handelt es sich um ein Liebhaberprojekt um Johannes Scheerer und Sebastian Nagel (beide bei Karamel, Nagel auch als The Ape) sowie Jessica Drosten vom Bierbeben mit aktuell zwei 10inches im Gepäck.

Ihr Stück „Kinder im Garten“ ist ein betrunken zerklimpertes Lullaby, das klingt als träfen 2Raumwohnung auf My Bloody Valentine und mit seinem Feedbackgefräse unter der Zuckerstimme Drostens gar an die erratischen Folk-Zerrisse von Slap Happy Humphrey erinnert.

Große amputierte Gefühle und wurmstichige Herbstkirschen werden hier als Phantom-Schmerzen erinnerbar gemacht! Thies Mynther setzt mit ihnen „Yesterday Once More“ von den Carpenters um und Mense Reents remixt ihr „Es Geht Schon Alles Seinen Gang“.

Man sieht: alle verdrahtet.
Die Welt am Draht.
Rabimmel, rabammel, rabumm.

Lokales Kollorit mischt sich in diese diesdonnerstägliche Zonic Radio Show Nord zudem mit Frieda Friday (bei Soundcloud) in die Sendung. Ambiente  Schwoofotronics  aus Greifswald schieben sich dort ellipsoid im Sound-Kreisel durch den Birkenwald und ergänzen damit die elektronischen Neubearbeitungen von Thomas Fehlmanns Stücken aus seinem Soundtrack-Album „Gute Luft“. 12inch „Gute Luft Remixe“ jetzt auf Kompakt.

Eine pickepackevoll gepackte Sendung sagen wir Essensgeldschuhträger dazu!

Hören

Zonic Radio Show Nord
„Mutter im Inter-Stella Overdrive“
Do. 23. September 2010, 20 Uhr radio 98eins (livestream)
danach für zwei Wochen in der Mediathek der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern nachhörbar

Wieder hören

Im April 2020 wurde die Sendung erneut hochgeladen und kann hier angehört werden.

Playliste

Walther Von Goethe Quartett – Das Leben (Intro)
V. A. – Das Dieter Roth Orchester Spielt Kleine Wolken, Typische Scheiße Und Nie Gehörte Musik
Intermedium Records

Roger Smith – Beach Time
Star Of 77 Sunset Strip: Beach Romance
Warner Bros.

False – Love Letters
Love Letters 12″
M_nus

Taka Takaz – Yesterday Once More
Leslie (Black)
Clouds Hill Ltd.

MistakeMistake – En Vacances
Kobajagi
Indietronic

Piemont – Chair Or Throne (Tremsch Metzler Remix)

Chair Of Throne 12″
My Best Friend

Stella – Talent is a Waste of Time
Fukui
Snowhite

Mutter – Es ist nur Musik
Hauptsache Musik
Die Eigene Gesellschaft

Mutter – Recht
Ich Schäme Mich Gedanken Zu Haben Die Andere Menschen In Ihrer Würde Verletzen
Die Tödliche Doris Schallplatten / Die Eigene Gesellschaft

Mutter – Geschrei nach Liebe
Trinken Singen Schießen
Die Eigene Gesellschaft

Campingsex – Nichts
1914!
Schmockstajn / Vinyl-On-Demand

Honkas – Lied für Fritz
Lied Für Fritz 7″
Pogar

Mutter – Damals in Berlin
Europa gegen Amerika
What’s So Funny About..

Max Müller – Sie ist aus Holland

Wir Steh’n Hier Jeden Tag 7″
Die Tödliche Doris Schallplatten

Max Müller – Ohne Titel
V. A. – Paradies Der Ungeliebten.De
What’s So Funny About..

Klaus Beyer – Alles war Holz
Klaus Beyer Sings The Beatles 7″
n.UR-Kult Releases / Swamp Room Records

Flash Gordon Blues Band – G – Monk

V. A. – Camp Imperial
L’Age D’Or

Tommy Mara – Where The Blue Of The Night
V. A. – Rare Rock N Roll Masters
Goldenlane

Cpt. Kirk &. – Draussen Ist Freundlich (Jetzt Ist Später)
V. A. – Eine Eigene Gesellschaft Mit Eigener Moral
What’s So Funny About..

Mutter – Mach doch einfach
Trinken Singen Schießen
Die Eigene Gesellschaft

Stella – Romantic Mindless

Better Days Sounds Great
L’Age D’Or

Phantom Ghost – The Shadow „In Praise Of Shadows“ (IV) by Carsten Jost
Four Shadows 12″
Dial

Stella – Bathroom Girl
Fukui
Snowhite

Anita Bryant – My Little Corner Of The World

V. A. – Rare Rock N Roll Masters
Goldenlane

Max Müller – Ich bin kein Spielzeug (Exc.)

Ich Bin Kein Spielzeug (CD & Buch)
Hybriden-Verlag

Stella – O.K., Tomorrow I’ll Be Perfect (Jürgen Paape Mix)

O.K., Tomorrow I’ll Be Perfect
L’Age D’Or

Phantom Ghost – Good Night Lovers

Electronic Alcatraz 12″
Ladomat 2000

Thomas Fehlmann – Berliner Luftikuss (Move D Remix)

Gute Luft Remix 12″
Kompakt

Frieda Friday – Birkenwald

Rainald Goetz – Die Melancholie Der Seligen
Word
Eye Q Records / WEA Musik GmbH

Max Müller – Es ist schön
Endlich Tot
What’s So Funny About..

Das Bierbeben – Schließ Die Tür
Alles Fällt (LoSoul Remixes)
Shitkatapult

Michaela Melián – Art Strike

V. A. – Tribute to Gustav Metzger
Intermedium Rec. / Strunz!

Max Müller – Mein Name ist Arthur
V. A. – Subraum #7 7″
Subraum