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Judith Schalansky – Verzeichnis einiger Verluste (Suhrkamp Verlag, 2018)

In dem nun im Suhrkamp Verlag erschienenen „Verzeichnis einiger Verluste“ beschäftigt sich Schalansky mit nicht weniger als Allem und Nichts; mit dem großen Ganzen und – das liegt in der Natur der Sache – auch dem kleinen Bruchstückhaften. Das was als Verlust festgestellt wird, muss schließlich irgendwann mal da gewesen sein, in graduellen Abstufungen für manche mehr, für manche eben weniger. Martin Hiller nähert sich dem Buch in dieser, im Vorfeld einer von ihm moderierten Lesung Schalanskys, veröffentlichten Rezension.…

Randnotiz: Ahrenshoop, Du sommerblaue Schwitznudel

[…] Am Wasser sitzen zwei Sekt saufende Tanten auf zwei in den Sand gestanzten Stühlen zwischen den vernagelten Strandkörben. Sie winken und prosten mir hinter dem feuchten Wind zu. Ich kämpfe mich wie ein Küstenkamel durch das Ufer in Richtung Kurhaus, das sich wie ein Stapel riesiger Schachteln hinter der Böschung verschanzt. Sogar einen Schirm habe ich dabei. In der Bunten Stube kaufe ich ganz gelassen ein Buch und setze mich noch ein bisschen einfach so in den Regen. Ahrenshoop, ich bin dir ein guter Seebadbesucher. […]

Das Wohnungsinserat. Oder: wie ich mal mein 7-Quadratmeter-Hofzimmer zu vermieten versuchte

[…] Mit wechselndem Wetter schien der Schimmel im unbewohnten Zimmer überwunden und bald bot sich ein Freund an, dort einzuziehen. Mit seinem verschlafenen Gesicht sah er aus wie eine Mischung aus Sylvester Stallone und Adam Green, dem Sänger der Moldy Peaches. Wir kannten uns ganz gut aus dem Nachtleben der Stadt und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er schlicht aus gutem Herzen bei mir einzog. Denn auch er stellte schnell fest, dass das so richtig wohnlich dort nicht ist. Er nutzte diese Schachtel eines Zimmers eher als Abstellraum für seine veranstaltungstechnischen Geräte und weilte die meiste Zeit bei seiner Freundin. Auch er fand irgendwann eine größere Bleibe und ich hing ein lustloses Inserat in der Uni-Mensa aus – regelrecht in Angst vor dem Ansturm möglicher Interessenten. Mir war meine eigene Wohnungssuche immer schon ein Grusel, wie sollte es erst jetzt als Wohnraumanbieter werden? Wenn ich irgendwo sowas las wie „Wir sind keine Zweck-WG“ bewarb ich mich erst gar nicht, weil ich mutmaßte, dass es eine Art Verpflichtung zur Zwangsgeselligkeit in diesen schwarmhaft strukturierten, kumpellaunigen Wohngemeinschaften gab. Die Vorstellung, dort Teil einer real existierenden Sitcom zu sein, deprimierte mich. Viele meiner Freunde und Bekannten wohnten in solchen WGs. Landschaftsökologen, Punks und Pfadfinder, Zimmermänner und -frauen sowie andere Leute, die zwar ebenso wie ich ein Leben neben der bürgerlichen Normalkonfiguration führten, aus Gründen, die für mich mürrischen Menschen damals nicht immer nachvollziehbar waren, aber das Rudelsein sehr schätzten. In meinen düstersten Momenten erschienen mir paradoxerweise genau solche Wohngemeinschaften als ums Eck sehr zweckbedacht. Mein Dasein als Einsiedler hatte letztlich aber den selben Motor: ich wollte kein Leben, das allzu vielen äußeren Zwecken unterlegen war. […]

Reisetagebuch, Kreta 2016 – Siebenter Eintrag

[…] Nach einer längeren, schwippswegen auch zeitlosen Wanderschaft barfuß am Strand entlang, parallel zu den vom Mond gewässerten Gischtspitzen, lassen wir uns nieder auf den, jetzt nachts mietfrei zu habenden, unbevölkerten Pritschen, strecken liegend die Füße in den Nachtwind und nehmen hin und wieder einen Schluck. Der Strand ruht. Das Meer ufert endlos auf den mondbesalbten Sand. Die Nacht atmet ihren ruhigen Rhythmus. Der sternenbeschriftete Inselhimmel wie ein großes, leuchtendes Segel über unseren Schultern, lakritzschwarz aufgefaltet über der Höhlung der Bucht. Gelegentliches durchs Uferwasser waten, trauten und matten Gedanken nachfüßeln. Gischwärtiger Sand strudelt um die Ferse. Keine Termine. Leicht einen sitzen. COSMIC BALANCE. Retsina auf den Lippen und das gute Gefühl einer längst fälligen Entspannung im Nacken, wie nach einer beiläufigen, kumpelhaft zupackenden Kurzmassage eines lang gekannten Freundes. […]