[…] Mit wechselndem Wetter schien der Schimmel im unbewohnten Zimmer überwunden und bald bot sich ein Freund an, dort einzuziehen. Mit seinem verschlafenen Gesicht sah er aus wie eine Mischung aus Sylvester Stallone und Adam Green, dem Sänger der Moldy Peaches. Wir kannten uns ganz gut aus dem Nachtleben der Stadt und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er schlicht aus gutem Herzen bei mir einzog. Denn auch er stellte schnell fest, dass das so richtig wohnlich dort nicht ist. Er nutzte diese Schachtel eines Zimmers eher als Abstellraum für seine veranstaltungstechnischen Geräte und weilte die meiste Zeit bei seiner Freundin. Auch er fand irgendwann eine größere Bleibe und ich hing ein lustloses Inserat in der Uni-Mensa aus – regelrecht in Angst vor dem Ansturm möglicher Interessenten. Mir war meine eigene Wohnungssuche immer schon ein Grusel, wie sollte es erst jetzt als Wohnraumanbieter werden? Wenn ich irgendwo sowas las wie „Wir sind keine Zweck-WG“ bewarb ich mich erst gar nicht, weil ich mutmaßte, dass es eine Art Verpflichtung zur Zwangsgeselligkeit in diesen schwarmhaft strukturierten, kumpellaunigen Wohngemeinschaften gab. Die Vorstellung, dort Teil einer real existierenden Sitcom zu sein, deprimierte mich. Viele meiner Freunde und Bekannten wohnten in solchen WGs. Landschaftsökologen, Punks und Pfadfinder, Zimmermänner und -frauen sowie andere Leute, die zwar ebenso wie ich ein Leben neben der bürgerlichen Normalkonfiguration führten, aus Gründen, die für mich mürrischen Menschen damals nicht immer nachvollziehbar waren, aber das Rudelsein sehr schätzten. In meinen düstersten Momenten erschienen mir paradoxerweise genau solche Wohngemeinschaften als ums Eck sehr zweckbedacht. Mein Dasein als Einsiedler hatte letztlich aber den selben Motor: ich wollte kein Leben, das allzu vielen äußeren Zwecken unterlegen war. […]
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