Category Archives: Journalismus

Martin Hiller im Gespräch mit Schorsch Kamerun: Jugend – Distinktion, Dissidenz und DIY

[…] Die Jugend muss heutzutage also eine ganz schön anstrengende Zeit im Leben sein. Alles kann, nichts muss, aber alles am besten gleich auf einmal. Wo liegt da noch der Punk begraben? Oder gibt genau dieses öde, mediokre und so gar nicht virile, weil von Erwachsenen erdachte, der Nachkommenschaft als mediales Flimmern hingegossene Jugendbild den Nährboden für eine weiteren Bestand der Ideen des Punk? Gibt diese viel verfluchte Leistungsgesellschaft, die gern auch mal mit einem Augenzwinkern („Feiern ist das neue Arbeiten“) in ihre eigene Bigotterie blinzelt, nicht gar ein gutes Feindbild her? Gibt es zwischen den pflicht- und zielbewussten Jugendlichen da irgendwo noch ein paar richtige Hänger, deren leistungsunlustiges Rumhängen ein Rumoren schaffen kann? […]

Review: William Basinski – „A Shadow In Time“

[…] Das Werk Basinskis funktioniert ein Stück weit auch über seine schillernde Person. Ein bisschen wie eine Mischung aus einem Glamrock-Superstar und einem Show-Magier im Glitzerhemd schaut er ja aus, wenn er da so live versunken vor seinen Tonbandgeräten steht und über die dort entwehenden Klangfolgen zu wachen und zu meditieren scheint. Ja, er überlässt in seinen Stücken viel dem Zauber. Die sich selbst zersetzenden Bandschleifenloops auf „Disintegration Loops“ sind kaum mehr als, in alte Bandmaschinen eingespannte und in endlosen Wiederholungen laufende Bandschleifen. Auch auf „A Shadow in Time“ behält er dieses technische Setup bei. Es bandschleift hier abermals in markantem Magnetbandklang.
Eine von Basinskis Hauptaufgaben in seinen Kompositionen ist also das Finden des optimalen Loops. Er ist hier also der Selektor. Irgendwie sind wir somit auch beim Soundsystemischen und beim Dub — und damit wieder beim Magician, beim Wizard of Loops. […]

Review: Massimo Pupillo, Alexandre Babel, Caspar Brötzmann ‎– Live At Candy Bomber Studios Vol.1

[…] In all dem Wechselspiel aus Anspannen, Loslassen, Zerren, Reißen und Dehnen, Sehnen und Suchen ist all dieser wunderschön wummernde Lärm natürlich letztlich auch eine Meditation. Eine Musik, die von innen heraus sich schält, dann draussen ist, dort fremd und ängstlich erstmal, deshalb laut und wütend scheint, aus seinem tiefsten Inneren aber Krach und Kraft, und damit eine freundliche, in ihrem Wüten sonderbar gesunde Art von Lebendigkeit ausströmt. […]

Review: Philipp Priebe – „The Being of the Beautiful“

[…] Wiegenhaft plätschernd und in housigem Schunkel präsentiert es sich hier: das Being of the Beautiful. Das Wesen des Schönen und das Schöne und auch das Sein als Solches – mein Sein, dein Sein, irgendjemandes Sein, alles soll ein Sinnsein sein! — finden hier in unaufdringlicher Sanftheit eine Musik gewordene Entsprechung. Das erwähnte Technoseepferd wird hier zu einem House-Einhorn, einem edelschimmelweißen, feenhaften Ding, das da unten im Meer deiner salzigen Träume seine Runden zieht.

Schönheit, das vergessen oftmals ja viele, hat nämlich nichts mit Lautheit zu tun, ist nicht irgendein vordergründig präsentes Blenden, kein brüllposauniges, bürzelwackelndes Poserding, viel eher eben ein sedimenthaftes Schimmern und Funkeln — klandestin und sublim, Resultat einer Kunst der Zurücknahme und Weglassung: Minimal, weißt! […]

Review: Kreidler – „Tank“

[…] Wo Kreidler früher Wochen und Monate schraubten, bis es angemessen frickelte und klackerte, sollten die Justierungen und Präzisierungen bei Tank Teil des Aufnahmeprozesses sein. Kreidler beleben und bestücken hier als Groovemaschine die Räume und Frequenzen der Tracks. Die Instrumente navigieren sich durch allerlei Effektgeräte, nehmen Abzweigungen über fernere Umgehungswege und stoßen wieder in den Lauf der Klangstraße. Autobahn in kraftwerkschem Sinn also, klar. Und am Firmament die spitzen Lichter einer kalten Nacht in dieser Computerwelt, auch klar. Kreidlers Sound ist jedoch in belebter Weise angegrünt, vernebelt und zusammengeschoben. Die sechs Stücke auf Tank sind in ihrer sortierten Bestimmtheit ein vorwärts gerichteter Kraftschub, Entladungen komprimierter Energien, moosiger Retrofuturismus und infernalischer Cosmic-Funk. Der Basslauf verleiht dem ersten Stück New Earth eine ungreifbare Schwere, wie ihn auch die Einstürzenden Neubauten mit ihren mechanisch-monströsen Instrumenten Marke Eigenbau entfachten. Aus diesem düsteren Gerüst bäumen sich kreiselndes Rauschen und flächige Synthetikstreicher auf. Polyrhythmisches Geklacker bringt schimärische Leichtigkeit in diesen paranoiden Traumdurchmarsch. So geht es in allen Stücken: In bester Call&Response-Manier schichten sich die live gespielten Sequenzen und Patterns aufeinander. Ein großer Grundpuls bestimmt in allem die Richtung. […]

Mutter – „Der Traum vom Anderssein“

[…] Um die Gruppe Mutter herrscht seit Gründung eine Art Kennerkult. Der strahlt so sehr als Mythos aus dem Feuilleton, den Kennergesprächen und den Independent-Zirkeln heraus, dass der Musik von Mutter immer der Eindruck des Sperrigen und Schwierigen vorauseilt. Das ist in dem Sinne schon Quatsch und bigott, da es die Annahme einschließt, das Kennen, das Feuilleton und der Independent seien erstmal irgendwie verquast, schwierig und sperrig. Komische Welt. Aber so handeln die Menschen nunmal: sie versuchen die Dinge, die sie umgeben in ihre Lebens-, Gemüts- und Gefühlswelten einzuordnen. Ein sehr einfacher Weg ist hierbei etwas im Spiegel von etwas anderem zu sehen, etwas als Abweichung zu deuten. Küchentischphilosophisch weiter gedacht meint das: Die Andersartigkeit, das Anderssein beschäftigt die Menschen. Mal pubertär als Gefühl nicht irgendwohinein zu passen. Dann als etwas, wovor man sich fürchtet, als angstmachendes Unbekanntes. Und ein anderes Mal ist das Anderssein ein Traum – ein Wunsch, ein Ideal, ein Wolkenbruch aus Möglichkeiten, der multimedial und dauernd über den Menschen abregnet. Das bringt manche Menschen an den Rand des Wahnsinns, weil es ihnen die Selbstsortierung und die Identitätsfindung so erschwert. Aus diesen Unsicherheiten in der Sorge um das eigene kleine Scheissglück entstehen bei Menschen Desillusion, Phlegma und ein taubes Gefühl von Ortlosigkeit. Bei anderen Menschen erzeugt es Feindseligkeiten, Hass, Kriege, Mord und Todschlag. Wieder andere lässt das alles kalt oder es gelingt ihnen, mit einem komplizierten System aus Dumpfheit, Ignoranz, Selbstherrlichkeit und Gleichgültigkeit drumherum zu kommen, sich unnötig viele Gedanken über sich und die Welt, die sie umgibt zu machen. Über all das – den menschlichen Irrsinn und wie man ihm begegnet – berichtet die Musik der Gruppe Mutter seit 30 Jahren. Ihr neues Album vertont in acht Stücken auf 53 Minuten diesen „Traum vom Anderssein“. Mal lieblich, ätherisch als in Shoegaze gewandete Weltdeutungswolken, dann wieder wummernd – nah am Frühwerk der Band – als brüllende, kaputte, alte, saure Hoffnung. […]

Review: Christiane Rösinger – „Lieder ohne Leiden“

[…] Rösinger reimt „Heiterkeit und Depression“ auf „Das kommt halt vor, das kennt man schon“ und dichtet sich und ihrer Hörerinnenschaft damit eine erträglichere Welt zusammen. Der Moment des Melancholischen wirkt auf Menschen, die diese edelste aller Gemütssorten nicht kennen, sie verdrängen oder einfach plump und ohne Nachfrage durch ihre empfindungsarmen Tage stolpern (wegen keine Zeit, keine Lust oder sowieso alles egal), erstmal spleenig, sperrig, ja fast „verkopft“ und schwierig. Das ist natürlich Quatsch. Christiane Rösingers Lieder sind mindestens ebenso kopf- wie herzlastig. Zwischen abwinkender Miesepetrigkeit, lustvollem Genörgel und „irgendwie süßem Wühlen in Vergeblichkeit“ (Lassie Singers, 1996) singt Christiane Rösinger immer noch über – so hieß auch mal ein Album von Britta – „Das schöne Leben“ zwischen Lieben und Leiden, zwischen Lustprinzip und lästigen Pflichten, zwischen kreativem Tun und prekärem Herumgekräpel. „Glück ist keine Bürgerpflicht“ singt sie und geht noch einen Schritt weiter und betont: „Glück und Liebe gibt’s gar nicht“. Das Wettern gegen die blöde alte Tante Love als Konstrukt zur Mehrsamkeit, Lebensbewältigung und Leidensaufteilung unter den Teilnehmern dieser Love ist mittlerweile ja eine Art rösingersches Trademark. Bei ihr ist Liebe und was da so an Suchen, Sehnen und Strampeln dranhängt, oft auch Grund für allerlei Zwist und Unbill im Leben. Einerseits ganz persönlich, als Traurigkeit, andererseits auch als Skepsis am gesamtgesellschaftlichen, zwischenmenschlichen Irrwitz. Als Betroffenheit, die sich fragt: „What the heck, was soll der Stress / Mit dem Pursuit of Happiness“. Hieran hängen natürlich – neben all den „uneingeladenen Gefühlen“ (Lassie Singers, 1996) – dann auch Diskurse um Gentrifizierung, Heteronormativität sowie lohn- und leistungsorientierter Arbeitswelt In „Wo bleibt der Mensch“ vom 1996 erschienenen Album „Hotel Hotel“ sangen die Lassie Singers mal – gewohnt kühn im Versmaß – „Ich habe kein Geld und weil ich nicht fremdbestimmt arbeiten will, wird das auch so bleiben“. Heute, zwanzig Jahre später, besingt Christiane Rösinger ein „Lob der stumpfen Arbeit“. Im so benannten Song klagt sie über den „Fluch dieser Tage“ und meint damit als „kreative Plage“ den lästig fremdbestimmtem Kunst- und Selbstverwirklichungswahnsinn, der einem von den Medien, den Mitmenschen oder einfach der eigenen, inneren Manie so vorgetanzt wird. Viel schöner, weil auf kürzerem Wege sinnstiftend, ist doch da die ehrliche Arbeit: „Müde all des Geschwätzes / Such ich was Handfestes / Statt ’ne neue Platte / Pflanz ich Blumenrabatte“ singt Christiane Rösinger. Als Musikerin, Schriftstellerin, ehemalige Labelbetreibern, gelegentliche Pop-Autorin und als Flittchenbar-Veranstalterin weiss sie, wovon sie spricht. Sie jammert jedoch nicht, sie stellt fest und gibt Empfehlungen. Und das macht sie – die Melancholie ist eine launige Natur – natürlich auch mit Drolligkeit und texttüchtiger Schläue. „Sich selber promoten / Das gehört verboten“ singt sie und betont „verboten“ in der zweiten Silbe ebenso englisch wie „promoten“.[…]